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Jugendbeteiligung in Zeiten von Corona – Wie wird aus digital real?

Nach einer ausgefallenen Regionalanalyse konnten wir 2021 endlich wieder ausrücken, um junge Menschen zu befragen und ihre Belange nach vorne auf die Tagesordnung zu holen – dieses Jahr in Sommerach. Die besondere Herausforderung einer hybriden Regionalanalyse: Wie bringen wir die Jugendperspektive aus der digitalen Umfrage in den realen Diskurs ins Rathaus?

Wenn Bürgermeister*innen und Kommunen die Akademie Junges Land anschreiben, dann häufig, weil sie „etwas für die Jugend machen“ wollen, aber nicht genau wissen, wie sie junge Menschen zu greifen bekommen. Eben das ist die Spezialität der Regionalanalyse. Als aufsuchende Sozialraumanalyse trifft und befragt sie junge Menschen genau dort, wo sie sich normalerweise aufhalten: in der Fußgängerzone, im Verein, im Schwimmbad oder in der Schule. Aber wie bekommt man junge Menschen zu packen, in Zeiten von Social Distancing und Wechselunterricht, in denen an Partys und gemeinsam Abhängen nicht zu denken ist?

Jugendbelange in den Fokus rücken – auch unter schwierigen Bedingungen

Dieses Jahr wurde die Regionalanalyse vor ein paar knifflige Herausforderungen gestellt. Leider mussten wir auf die zahlreichen direkten Begegnungen mit jungen Menschen vor Ort verzichten, die unsere Jugenderhebung sonst so bereichern und sie eben zu dem machen, was sie ist. Trotz allem deckt sich unsere Erfahrung mit der, die vielerorts gemacht wurde: digital geht auch!
Besser gesagt hybrid, denn wir haben nicht nur eine Online-Umfrage geschaltet, sondern waren auch open air, getestet und mit Maske in Sommerach unterwegs. Die sozialräumlichen Erhebungsmethoden der Ortsbegehung und Befragungen haben sich mit diesen leichten Anpassungen auch dieses Jahr wieder bewährt. Wir haben eine gute Resonanz und umfassende Ergebnisse mit den Daten aus 95 Online-Antworten, 23 Expert*inneninterviews und einer Unterrichtseinheit in einer Grundschule erzielen können. Es hat sich gezeigt, dass junge Menschen offen für digitale Beteiligungsmethoden sind, was gut zu unserer Prämisse passt „Junge Menschen dort aufsuchen, wo sie sich aufhalten“, nämlich auch im Internet. Und so nehmen wir aus dieser ungewöhnlichen Corona-Situation eine nützliche Methode in unser Repertoire mit auf, die wir künftig auch in  „normalen“ Regionalwochen einsetzen wollen.

Eine weitere Herausforderung: Wie kann ein einmal erhobenes, digitales Stimmungsbild Wellen schlagen und in den realen Diskurs, ins Dorfgespräch, in die Gemeinderatssitzung überschwappen? Erfährt man als junger Mensch, dass die eigene Idee Gehör, Unterstützung und vielleicht sogar Umsetzung findet, so ist der Grundstein für Beteiligung gelegt. Online eingetippt kann sich das eigene Statement aber weniger befähigend anfühlen, als würde man ins Leere hineinrufen. Jugendbeteiligung ist immer auch ein Prozess von Empowerment: die Betroffenen eignen sich politisches Wissen an, identifizieren Konflikte und Ungerechtigkeiten in ihrer Lebenswelt, bilden sich ihr eigenes Urteil, um sich schließlich dafür einzusetzen. Doch wo führt dieser Prozess im Digitalen hin, was kommt aus der Online-Sphäre zurück? Würden Kinder und Jugendliche ihre Meinung genauso äußern und vertreten, wenn sie nicht anonym, sondern persönlich gefragt worden wären? Und wie reagieren lokale Entscheidungsträger*innen auf die Forderungen aus der „anonymen Masse“?

Junge Perspektiven aus dem Digitalen ins Reale holen – und diskutieren!

Umso wichtiger, dass wir Anfang November in einem Präsenz-Workshop den Raum für Austausch geben konnten. Bei der Ergebnispräsentation kamen junge Menschen und Vertreter*innen der Gemeinde, der Jugendarbeit und aus Vereinen miteinander ins Gespräch. Denn oberstes Anliegen der Regionalanalyse ist die Belange von Kindern und Jugendlichen ins Bewusstsein zu rufen und ihre Forderungen auf den Verhandlungstisch zu holen, bis hin zur Umsetzung. Dabei konnten Bedürfnisse harmonisiert worden („Das ist nicht nur ein junges Bedürfnis, das wollen wir Erwachsene auch!“). Außerdem wurden mögliche Verzerrungen in den Stimmungsbildern reflektiert. Sind die Handlungsempfehlungen der Forschungsgruppe so nützlich und realisierbar? Dies wurde diskutiert, um eigene Lösungen zu finden und gemeinsam im Plenum weiterzuspinnen.

Was ist jetzt zu tun?

Wenige Wochen später – für viele überraschend – stecken wir mitten in einer neuen Infektionswelle. Viel wichtiger als das sture Weiterverfolgen von geplanten Prozessschritten ist in Zeiten steigender Inzidenzen, die mit Einschränkungen einhergehen, das Kontakthalten mit den Jugendlichen vor Ort. Ernstgemeintes Nachfragen und Zuhören für eine geglückte Kommunikation sind angesichts der wachsenden Verunsicherung besonders gefragt. Auch um Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust unter der jungen Bevölkerung zu schmälern muss aktiv aufeinander zugegangen werden.

Laut der Studie „Jugend und Corona“ (Schnetzer & Hurrelmann) stört junge Menschen in der Pandemie, dass sie bei politischen Entscheidungen, die sie betreffen, häufig nicht befragt werden. Werden sie jedoch gefragt tritt häufig ein Maß an Kreativität und Innovativität zu Tage, das selbst die jungen Menschen überrascht. Wenn Jugendbeteiligung scheitert, so liegt das meist nicht an den Kompetenzen oder der Bereitschaft junger Menschen selbst, sondern an mangelndem Organisationsvermögen seitens der Politik, beschreiben es Hurrelmann und Schnetzer in ihrem Artikel der bpb. Die erarbeiteten Ergebnisse verlaufen häufig im Sand, wenn sie nicht in die Regeln und Strukturen der Verwaltung überführt werden. Dabei kann ein professioneller Beteiligungsprozess helfen, als Beispiel sei hier das Projekt „Jugend entscheidet!“ genannt (ein kommunales Team begleitet Jugendliche dabei eine Entscheidung zu treffen, über die anschließend der Gemeinderat abstimmt). Doch auch ohne ein groß aufgezogenes Beteiligungsprojekt können auch – und insbesondere – kleine Kommunen Jugendbeteiligung leben: Der einfachste und wichtigste Schritt ist jungen Menschen zuzuhören und ihre Belange ernst zu nehmen.

Wir müssen uns auch jetzt wieder vor Augen führen, dass Jugendbeteiligung kein Projekt oder Tagesordnungspunkt, sondern eine Sichtweise ist. Wenn Jugendbeteiligung bedeutet bei allen politischen Entscheidungen und Handlungen eine „junge Brille“ aufzusetzen, so kann sie nicht von anderen TOPs verdrängt werden. Jugendbeteiligung ist eine Haltung. Erinnern wir uns immer wieder gegenseitig daran sie einzunehmen – besonders jetzt!

 

Quellen | angelehnt an…

Schnetzer, Simon und Hurrelmann, Klaus für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de (2021): Jugend 2021. Pandemie, Protest, Partizipation.
Artikel mit der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE abrufbar unter: https://www.bpb.de/apuz/jugend-und-protest-2021/340340/jugend-2021-pandemie-protest-partizipation 

BUFO 4.2021 – Wir drehen die Stimmen Jugendlicher auf laut! Corona zum Trotz macht sich die Regionalanalyse in Sommerach für Jugendbelange stark.
Bald abrufbar unter: https://www.kljb.org/fuer-mitglieder/bufo/

Kontakt

  • Moritz Eicher
    Referent für politische Bildung und nachhaltige ländliche Entwicklung
    0 22 24. 94 65-42