Aus dem Archiv: „Es ist wichtig für eine Demokratie, dass Menschen selbstbestimmt nach einer Antwort suchen müssen.“

Hinter dem Namen „Peng!“ verbirgt sich ein Kollektiv aus Aktivist*innen, die sich auf subversive und satirische Kampagnen spezialisiert haben. Bekannt wurden sie erstmals 2013 mit ihrer Aktion „Slam Shell“, mit der sie eine Veranstaltung des Ölmultis mit einer überraschenden Ölfontäne sprengten. Im vergangenen Jahr wurde ihre „Vattenfall Responsibility Kampagne“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt, in der sie als vermeintliche Pressesprecher des Stromkonzerns ankündigten die Lausitz nach Stilllegung des Tagebaus zu einer Vorzeige-region für erneuerbare Energien um-zubauen. Aktuell bittet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in ihrem Namen auf einer „Fake“-Webseite um ein „Sorry“ für die Opfer der Agenda 2010.

2016 sprachen wir mit Lia Rea darüber, wie kreative Kampagnen die demokratische Kultur bereichern können, aber auch über Grenzen von zivilem Ungehorsam.

 

Auf eurer Internetseite beschreibt ihr euch als eine Gruppe smarter und alberner Menschen, die mit kreativen Tricks politische Kampagnen bereichern. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Wir sind ein Kollektiv, dass mehr oder weniger seit drei Jahren besteht. Wir experimentieren mit neuen Formen von Protest, indem wir verschiedene Bereiche zusammenführen, wie z.B. Aktivismus, Kunst, Theater und die Macht der Medien. Auf diese Weise regen wir über Themen eine Debatte an, die aus unserer Sicht zu wenig behandelt werden.

Was von dem was ihr macht ist Kunst? Was Politik?

Hm, schwierig. Ist ja auch immer die Frage, was man unter Kunst versteht. Ich persönlich würde sagen, Kunst ist das Medium und Politik ist der Inhalt – aber das ist natürlich sehr verkürzt. Andere sagen die Kunst ist eine brennende Barrikade hinter der man sich versteckt. (lacht)

Wer protestiert steht vor der großen Herausforderung viele Menschen zu aktivieren, um Aufmerksam zu bekommen. Was unterscheidet hier eure Aktionen von „herkömmlichem“ politischem Protest?

Ich halte Demonstrationen für wichtig und richtig. Inzwischen sind traditionelle Formen des Protests aber ein Bisschen abgestumpft und die Außenwirkung ist nicht mehr so doll wie in den 60er, 70er oder auch 90er Jahren. Gleichzeitig haben digitale Medien eine immer größere Wichtigkeit in der Meinungsbildung bekommen. Und da haben wir gedacht, vielleicht erreicht man mehr Aufmerksamkeit indem man andere Formen mischt, die ein Element des Spektakels und eine Kritik an den Verhältnissen beinhalten.

Andererseits waren wir auch der Meinung, dass die NGOs als Hauptträger der zivilgesellschaftlichen Rolle oft nicht so radikal sein können wie es nötig wäre, weil sie an Gelder gebunden sind und immer im Bereich des Legalen bleiben müssen. Und für sie greifen wir eben manchmal auch zu Mitteln des zivilen Ungehorsams. Um eine demokratische Partizipation zu beanspruchen, die nicht nur Wählen-Gehen ist, sondern auch sagen darf: „Dieses Gesetz gilt, ist aber ungerecht.“

Ihr kooperiert aktuell mit dem Schauspiel Dortmund, wodurch auch ihr Fördermittel bekommt. Wie abhängig seid ihr da selbst?

Das ist natürlich eine Herausforderung. Da gibt es natürlich Regeln. Im Rahmen dessen, was von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde, haben wir zwei Aktionen gemacht die beide eine Kritik an staatlichen Institutionen waren: Einmal eine Kampagne gegen die Bundeswehr und einmal eine Kampagne im Namen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gegen die Agenda 2010. Insofern wurden die Mittel nicht benutzt um uns zu bändigen, sondern wir haben sie genutzt, um Kritik an staatlicher Politik auszuüben – gerade weil es staatliche Mittel waren. Die Freiheit der Kunst ist natürlich ein großer Schutz.

Aber klar, es gibt Grenzen: Wir hatten versucht Hartz IV-Sanktionen mit diesen Mitteln gegenüber Betroffenen in bar auszugleichen. Das ging nicht.

Gerade mit der Aktion „Deutschland sagt Sorry“ verändert ihr die Welt von einem Moment auf den anderen so, wie ihr sie gerne hättet. Nach dem Motto „Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt.“ Ist das noch Demokratie?

Die moderne Demokratie tendiert dazu die Bürger*innen in eine sehr eingeschränkte Rolle zu bringen, wo man alle vier Jahre sagt „Das ist okay für mich.“ Wir versuchen Utopien zu inszenieren um zu zeigen: eine andere Wirklichkeit ist möglich. Man bricht die Realität und zwingt das Gegenüber dazu sich zu äußern, warum sie eben nicht das machen, was wünschenswert wäre – wie erneuerbare Energien im Beispiel von „Vattenfall Responsibility“. Im Fall von „Deutschland sagt sorry“ war es eine Satire, weil wir der Meinung sind, dass eine bloße Entschuldigung an den Verhältnissen nichts ändern würde.

Liegt es nicht in der Natur der Sache, dass demokratische Entscheidungen Zeit brauchen? Sowohl über die Agenda 2010 als auch erneuerbare Energien wird ja diskutiert. Das klingt für mich nach Ungeduld und „wenn die nicht machen wie wir wollen, dann nehmen wir’s halt selbst in die Hand.“

Oft werden diese Debatten in einem vorgegebenen Rahmen geführt – z.B. von zivilgesellschaftlichen Kräften, nicht aber von Vattenfall selbst. Und diese Utopie schafft halt einen Rahmen, der größer ist. Seitens der Politik kommen nur von Randgruppen fundamentale Fragestellungen. Es wird z.B. sehr sehr selten darüber gesprochen was die Agenda 2010 (abgesehen von der Wirtschaft) für die Bevölkerung bedeutet.

Ihr bezeichnet euch selbst aber als subversiv. Als politische Subversion bezeichnet Wikipedia „eine Tätigkeit im Verborgenen, deren Ziel der Umsturz einer bestehenden Ordnung durch Unterwanderung und Untergrabung ist“. Das klingt nicht besonders sympathisch.

(lacht) Das hängt ja davon ab, was für eine Sympathie man den bestehenden Ordnungen entgegenbringt. Die Flüchtlingskrise ist uns allgegenwärtig. Ich meine, ist ein System das brutal Menschen ausschließt oder aufgrund ihrer Herkunft im Endeffekt zum Tode verurteilt, demokratisch und erhaltenswert? Muss da nicht einfach mal ein klarer Punkt gemacht werden?

In eurer Fluchthilfe-Kampagne gebt ihr praktische Tipps, wie man aus dem Urlaub Flüchtende mit nach Hause bringen kann – verbunden mit dem Vorwurf dass EU und Bundesrepublik Freiheitsrechte einschränken. Wie passen eure moralische Botschaft und der Aufruf zu illegalen Handlungen zusammen?

Wir müssen uns klar machen: Der Holocaust war legal. Die Geschichte ist voll mit Beispielen, von Sachen die legal waren in einem bestimmten System. Und wo wir im Nachhinein merken: Das war absolut unmenschlich und illegitim! Legalität ist eher eine Frage nach „wer hat die Macht“ als nach „was ist richtig“. Sie ist keine Messlatte um Legitimität zu beurteilen. Dieser Unterschied ist uns sehr wichtig.

Im Falle von der Fluchthilfe-Kampagne war die Idee, die Parallele mit der neuen deutschen Geschichte der DDR zu zeigen: Sachen die vor 25 Jahren passiert sind, sind in unserem heutigen Verständnis gerecht und moralisch gewesen – obwohl sie damals illegal und sehr riskant waren. Wir honorieren sogar die FluchthelferInnen von damals als Nationalheld*innen mit dem Bundesverdienstkreuz. Vielleicht ist das was gerade passiert nicht viel anders – nur sind wir noch in einem geschichtlichen Kontext in dem wir das noch nicht sehen.

Man kann sich entscheiden anderen zu helfen, obwohl das für uns ein Risiko ist. Aber das Risiko ist natürlich immer noch geringer als das, dass Menschen die aus ihrer Heimat fliehen mussten, täglich auf sich nehmen.

Du hast gesagt, dass manche eurer Aktionen euch in den Bereich zivilen Ungehorsams führen. Wo zieht ihr für euch persönlich eine Grenze?

Ich teile das Prinzip der Gewaltfreiheit. Gewalt gegen Menschen, Tiere und die Natur sind definitiv nicht drin. Jetzt ist natürlich Gewalt wiederum ein sehr breiter Begriff. Man kann natürlich sagen Hausfriedensbruch ist auch Gewalt – z.B. wenn man eine Pressekonferenz im Hauptquartier von einem Konzern abhält. Solche Grenzüberschreitungen sind für uns eine andere Sache – wenn sie für einen guten Zweck sind.

Der andere Aspekt sind natürlich rechtliche Folgen. Ihr habt ja im letzten Herbst unter dem Titel „Intelexit“ mit einer Drohne über einer NSA-Kaserne Flugblätter abgeworfen, auf denen ihr AgentInnen zum Ausstieg aufruft und ihnen Hilfe anbietet. In welchen Momenten habt ihr Angst vor den rechtlichen Folgen eurer Aktionen?

Wir haben nie behauptet der Drohnenflug sei von uns, sondern von Unterstützer*innen von uns. (lacht) Aber klar, wir überlegen vor einer Aktion relativ lange, wie weit wollen wir gehen. Wir holen uns eine rechtliche Beratung ein, die dann sagt, es gibt die und die Risiken. Und dann wägen wir ab, je nachdem wie wichtig uns das Thema ist, was wir bereit sind einzugehen. Im Falle der Fluchthilfe dachten wir z.B., das Thema ist so brennend, dass es sich lohnt.

Wir wurden auch außer von AstroTV, diesem Esotherik-Sender, dessen Live-Sendung wir gesprengt haben, noch nie rechtlich belangt. Wenn man Presse und öffentliche Meinung hinter sich hat, dann entsteht eine Legitimierung seitens der Öffentlichkeit, die einen schützt.

In wieweit sind eure Aktionen geplant und an welchen Stellen könnt ihr die Wirkung vorhersehen?

(lacht) Wir sind fast immer überrascht, weil es meistens doch mehr Wirkung hat als man sich erhofft hatte. Nach zweieinhalb Jahren ist der Überraschungseffekt auch für uns immer noch da. Ich persönlich werte das als die Tatsache, dass wir oft einen Nerv treffen.

Ansonsten ist es sehr unterschiedlich. Es gab tatsächlich einige Aktionen, die relativ spontan waren, wie z.B. „Slam Shell“. Und andere die eine längere Planung über drei bis fünf Monaten hatten, wie z.B. bei „Intelexit“, weil es gleichzeitig in Deutschland, England und den USA aufgefahren wurde – also viel Recherche und Partner*innensuche davor. Wenn man schnell reagieren muss auf die Tagespolitik entstehen natürlich spontanere Aktionen.

Wie kann ich mir eure Organisationsform vorstellen?

Mittlerweile ist die Arbeit so gewachsen, dass die Gruppe nicht mehr so lose ist. Viel hängt natürlich auch an der Finanzierung. Es ist definitiv kein Zufall, dass wir z.B. kein Logo haben. „Peng!“ ist auch der Versuch, auf neue Art und Weise neue Ideen zu schaffen. Auch wir sind auf der Suche danach, wie man ein Kollektiv schafft, das nach außen funktioniert und nach innen trotzdem gerecht und gleichberechtigt ist. Das wäre unser Ziel.

Eure Taktik ist, komplexe politische Fragestellungen runterzubrechen und auf Emotionen zu setzen, um möglichst „viral“ zu gehen. Das ist ziemlich genau das, was man Populist*innen in der Regel vorwirft. Erweist ihr mit eurem Vorgehen der Demokratie nicht einen Bärendienst?

Spannende Frage. Was du beschreibst ist die Kernaufgabe vom ganz traditionellen Campaigning – wie es auch NGOs machen. Das ist jetzt nicht nur ein Merkmal des Populismus sondern von allen, die versuchen Menschen die sich nicht interessieren einem Thema anzunähern. Eine Vereinfachung der Fragestellung ist nötig, damit Menschen überhaupt einen Zugang dazu finden.

Das mit den Emotionen macht die Politik ja auch. Was wir versuchen ist, eine Frage klar, einfach und laut zu stellen. Oft geben wir aber gar nicht die Antwort. Deswegen spielen Humor und Ironie eine große Rolle in unserer Arbeit. Wir schaffen einen Moment der Verwirrung der Raum zum Nachdenken schafft. Es ist wichtig in einer Demokratie, dass Menschen selbstbestimmt nach einer Antwort suchen müssen. Populismus sagt, das und das ist schlecht. Punkt. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Aber muss eine Form von Kommunikation, die eine breitere Gesellschaftsschicht anspricht unbedingt schlecht sein? Ist alles, das nicht von oben, super kompliziert und super technisch kommt Populismus, nur weil man versucht Menschen durch Emotionen zu sensibilisieren? Emotionen sind auch Teil des Lebens. Die Frage ist: Wie benutzt man sie und wofür.

Aber inwieweit schafft ihr über Emotionen wirklich ein Bewusstsein? Inwieweit hat das für eure „Konsumenten“ nicht einfach auch nur Unterhaltungswert?

Man kann nicht bestimmen, was die Leute mit Inhalten machen. Das kann niemand. Ich würde sagen, solange über den Unterhaltungsfaktor eine kritische Nachricht übermittelt wird, ist es nicht allein Spektakel. Natürlich kann ich jetzt nicht die Leute dazu zwingen aktiv zu werden. Aber ich denke die Macht des Denkens ist eine der wichtigsten Ressourcen die wir haben. Wenn wir schaffen, die Leute zum Denken anzuregen ist schon viel erreicht. Gerade deswegen wollen wir Fragen aufwerfen.

Protest kann als selbstorganisierte Form der Beteiligung verstanden werden – frei nach dem Motto „Wenn ihr uns nicht fragt, dann antworten wir trotzdem.“ Wo und wie bietet ihr selbst Möglichkeit zur Beteiligung oder Reaktion?

Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Es gibt ein breites Spektrum von Sachen, die nur wir machen, um den Keim des Zweifels in die Köpfe zu stecken. Im Falle der Fluchthilfe kam von uns zum ersten Mal ein Call-to-Action, wo einzelne Leute angesprochen waren, aktiv zu werden. Und wo wir versucht haben sie so weit wie möglich zu betreuen, zu unterstützen und finanziell aufzufangen im Fall von strafrechtlicher Verfolgung. Bei „Deutschland sagt sorry“ haben wir eine Plattform gestaltet wo Menschen ihre eigenen Erfahrungen mit Hartz IV schildern konnten, damit man eine Sichtbarkeit schafft. Oder als wir mit der „#ZeroTroll“-Kampagne diese Armee von Twitter-Profilen geschaffen haben, die auf sexistische Nachrichten antworten, da haben wir auch Leute eingeladen mit uns die Profile zu erstellen. Es gab dabei verschiedene Möglichkeiten und Aufgaben, die unterschiedlich lange gedauert haben.

Wir versuchen dass es Möglichkeiten gibt auf irgendeine Weise beizutragen. Wir sind auch eine relativ lose Gruppe und es gibt nicht die Möglichkeit Freiwillige zu betreuen und einzubinden auf langfristiger Basis. Es wäre schön, aber im Moment sehe ich noch nicht die Mittel. Die Idee ist aber auch – das ist sehr wichtig – die Leute zu inspirieren, neue Wege für sich zu finden. Wir haben ja auch mit nichts angefangen. Die Idee war: Man kann mit relativ wenig was schaffen. Schön ist, wenn dezentral ein Netz entsteht und je nach Interesse kleine Gruppen aktiv werden.

Lia Rea
Dezernatsleiterin für Ethik und Ästhetik der Aktivistengruppe „Peng-Collective“

Fotocredits: Peng-Collective
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Dieses Interview haben wir auch im BUFO 3.2016 „Was zu melden. Demokratie und Jugendbeteiligung“ veröffentlicht.

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